Positives Training und besonders die Arbeit ohne Strafen werfen immer wieder Fragen auf.
Als ich 2013 das erste Mal darauf stieß, war auch mir vieles unklar.

Ein paar dieser Fragen will ich heute für Euch klären. 🙂

Der notwendige Einschub vorweg:
Wenn wir von Strafen sprechen, sind in diesem Artikel primär positive (= hinzufügende) Strafen gemeint, wie z.B. Schreien, Leinenruck, Wasserpistole, Rütteldose und Co.

Warum überhaupt Training ohne Strafen?

Ausführlicher bin ich darauf bereits in meinem Artikel „Keine Gewalt, sonst gibt’s auf die Fresse“ eingegangen, den ich auch jedem ans Herz legen möchte, der nach dem folgenden kurzen Abschnitt noch (berechtigterweise 😉) offene Fragen hat.

Kurz gesagt: Weil bestraft werden weh tut.

Weil es keinen Spaß macht, weil es die Wahrnehmung verzerrt und weil es Kreativität und Tatendrang erstickt.
Weil es unangenehm ist, bestraft zu werden, weil der Hund raten muss, was wir wollen und weil zuverlässigere Ergebnisse ohne Strafen erzielt werden können.
Weil Strafen praktisch immer mit Nebenwirkungen kommen, auch wenn wir sie nicht gleich sehen.
Weil Strafen eine unmenschliche Präzision bei Dosierung und Timing braucht, um dem Hund mehr zu vermitteln als nur „Mein Mensch ist echt scheiße, wenn …“.
Und weil Strafen einfach unnötig sind, wenn man positives Training verstanden hat.

Alles klar – keine Strafen. Und wie geht das jetzt?

Lara und Sarai

Foto von Suma Spiegelglas Photography

Was muss der Mensch lernen?

Das wichtigste, was ein Mensch lernen muss, um mit seinem Hund gut zu arbeiten, ist das Verhalten seines Hundes nicht länger persönlich zu nehmen.

Ich schreibe das mit Absicht so fett, denn es ist wirklich sehr wichtig und es ist auch wirklich sau schwer. 😉

Der Perspektivwechsel von „Alles was der Hund tut, ist eine persönliche Beleidigung“ hin zu „Alles was der Hund tut, ist ein Versuch des Hundes seine Bedürfnisse zu befriedigen und ein gutes Leben zu haben“ ist der erste Schritt, um wirklich freundlich trainieren zu können.

Wenn wir einmal über diesem Punkt hinaus sind, können wir mit der Arbeit beginnen.

• Wir müssen lernen, wie Lernen überhaupt funktioniert.
Dazu gehört das Grundprinzip der operanten (und klassischen) Konditionierung.
Wer sich damit auskennt, kann die Erklärung überspringen, für alle anderen folgt hier eine Erläuterung:

Operante Konditionierung kurz erklärt

Die vier Quadranten der operanten Konditionierung
(Operante Konditionierung = verhaltensbeeinflussende Konditionierung):

Die positive Verstärkung
Die positive Strafe
Die negative Verstärkung
Die negative Strafe

Positiv und negativ sind in diesem Zusammenhang übrigens rein mathematisch zu verstehen, keinesfalls wertend.

Eine positive Verstärkung sorgt dafür, dass eine Situation als positiv erlebt wird, das gezeigte Verhalten wird zukünftig häufiger auftreten.
Um positiv zu verstärken, muss der Situation etwas Angenehmes hinzugefügt werden.

Die positive Strafe sorgt dafür, dass die Situation als unangenehm erlebt wird, das gezeigte Verhalten wird seltener auftreten.
Um positiv zu strafen, muss ich der Situation etwas Unangenehmes hinzufügen.

Die negative Verstärkung sorgt für Erleichterung, das gezeigte Verhalten wird häufiger auftreten.
Um negativ zu verstärken, muss ich etwas Unangenehmes entfernen.

Die negative Strafe löst Frustration aus, das gezeigte Verhalten wird seltener auftreten.
Um negativ zu strafen, muss ich etwas Angenehmes entfernten.

• Wir müssen lernen, gutes Verhalten zu sehen.
Oft zeichnet sich erwünschtes Verhalten primär dadurch aus, dass es nicht auffällt.
Das ist wie mit dem Haushalt: Nicht die saubere Wäsche im Schrank ist es, die auffällt, sondern die ungewaschene auf dem Boden.
Wenn der Hund also etwas tut, dass uns lieb ist (ruhig schauen, anstatt den anderen Hund anzubellen, im Körbchen dösen, anstatt herum zu wiggeln, auf unserer Höhe laufen, statt in der Leine zu hängen), dann müssen wir das überhaupt erst mal wahrnehmen.

Allzu oft wird das gute Verhalten des Hundes als selbstverständlich abgetan, denn nur Abweichungen davon fallen uns auf. Aber gutes Verhalten festigt sich nicht, in dem man auf schlechtes Verhalten reagiert. 😉

Gutes Verhalten festigt sich, wenn es rechtzeitig bemerkt und verstärkt (= belohnt) wird. 😉

• Wir müssen lernen, richtig zu verstärken
Darunter fallen insbesondere zwei Punkte:
– Das richtige Timing (0,2 bis 0,5 Sekunden nach der erwünschten Handlung).
– Bedürfnisgerecht belohnen.

Sarai im goldenen hohen Gras

Umwelterkundung: Eine großartige Art, abseits von Spiel und Futter zu verstärken. Foto von Suma Spiegelglas Photography

Timing ist primär eine Frage der Übung, mithilfe von Markern kommen wir hier ziemlich gut weiter.

Das richtige Belohnen gestaltet sich da schon etwas schwieriger.
Viele Menschen sind der Meinung, ein bisschen Kopf-tätscheln und ein paar warme Worte würden dem Hund doch ausreichen.
Zum Einen empfinden es nur die wenigsten Hunde als angenehm (oder gar belohnend!), beim Üben am Kopf oder überhaupt angefasst zu werden, zum Anderen ist auch Lob nicht immer das, was den Hund gerade beflügelt. Manche Hunde lieben Lob und reagieren sehr deutlich darauf, anderen geht es eher an der Rute vorbei. Was bitte nicht als Argument verstanden werden sollte, Lob weg zu lassen – im Zweifel ist freundliche Ansprache immer besser als nix. 😉 Nur blind drauf verlassen, dass Lob genug ist, um ein Verhalten zuverlässig zu verstärken, sollte man sich nicht.
Hier gilt es, genauer hin zu sehen und erst einmal heraus zu finden, was der eigene Hund eigentlich gerade will.
Und das, was er will, dann auch einzusetzen. 😉

• Wir müssen lernen, Rücksicht auf die Bedürfnisse des Hundes zu nehmen
Gerade wenn wir es mit Angst zu tun haben, mit Schmerzen oder Krankheiten, der Hund über-erregt ist und eine Situation nicht mehr erträgt, gehen seine Bedürfnisse vor unseren.
Wir müssen lernen, mit den Kapazitäten unseres Hundes zu planen und auch bereit sein, eine für uns angenehme Situation zu verlassen, wenn der Hund keine Freude (mehr) an ihr hat.
Das ist ein Teil der Verpflichtung, die wir eingegangen sind, als wir uns für einen Hund entschieden haben.

Was muss der Hund lernen?

Zuverlässigkeit
Der Hund muss lernen, dass sein Mensch ein zuverlässiger Freund und Partner ist, der ihm Schutz und Zuwendung bietet.
Er muss verstehen, dass wir ihn unterstützen und ihm zeigen, wie er die Welt meistern kann.

Abläufe lernen bedeutet Regeln lernen
Der Hund muss lernen, sich sicher in dem Rahmen zu bewegen, den wir ihm abstecken. Dazu müssen wir ihn wissen lassen, welche Verhaltensweisen sich lohnen und was wir häufiger sehen wollen. Je gefestigter eine Regel, desto selbstverständlicher wird der Hund sie später einhalten.

Vertrauen
Er muss lernen, das auf uns Menschen Verlass ist und das für ihn niemals eine Gefahr von uns ausgeht. Vertrauen ist eine Schlüsselqualifikation und zugleich etwas, dass wir uns jeden Tag ein bisschen verdienen müssen.

Kooperation
Der Hund muss wissen, dass Kooperation mit uns sich lohnt und Spaß macht. Wir sind sein Schlüssel zu den besonders guten Dingen – nicht die Spaßbremse, die ihn nur zurück hält.

Sarai und Lara im Grünen

Foto von Suma Spiegelglas Photography

Was für Hilfsmittel nutzen wir?

Vor allem und über allem ist unser wichtigstes Hilfsmittel: Fairness.

Wir verzichten auf ein vermenschlichendes Framing, dass den Hund als „frech“, „aufmüpfig“ oder „dreist“ darstellt, sobald er sich nicht wunschkonform verhält.
Verhalten wird analysiert, bevor es beurteilt wird und es wird interpretiert ohne dem Hund Böswilligkeit zu unterstellen.
Aber was, wenn der Hund gerade böswillig ist?
Eine berechtigte Frage, die leicht beantwortet ist: Der Hund kann nicht böswillig handeln. Er kennt unsere Moral und unser Wertesystem nicht. Der Hund handelt immer in seinem besten Interesse. Wenn sich das mit unseren Interessen beisst (haha), müssen wir daran trainieren, oder die Bedingungen ändern.

Wir nutzen Training und Management.
Diese Unterscheidung ist wichtig, denn wir können nun mal nicht immer trainieren. Ist Training gerade nicht möglich, kommt Management zum Einsatz.

Training ist alles, was den Hund durch gezieltes Üben darauf vorbereitet, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen oder zu unterlassen.
Management ist alles, was uns und dem Hund durch Situationen hilft, in denen Training gerade nicht möglich ist, die wir aber auch nicht einfach laufen lassen können.

Wir nutzen Markersignale
Egal ob Clicker, Schnalzen, Schnipsen oder Wortsignal – Markersignale machen uns das Leben leichter. Das Hundegehirn sucht sich so oder so Marker – setzen wir sie bewusst ein, ist das ein genialer Timing-Vorteil.
Ein Markersignal ist ein Signal, meist ein Geräusch, das dem Hund einen Verstärker (Belohnung) ankündigt. Es kann auf diese Art sehr akkurat Verhalten heraus gearbeitet werden, weil der Belohnungseffekt im Gehirn bereits einsetzt, wenn der Marker ertönt, nicht erst, wenn wir unseren Verstärker gezückt haben.

Wir nutzen bedürfnisorientierte Verstärker
Wenn wir Verhalten verstärken wollen, müssen wir es so belohnen, dass der Hund es auch wieder ausführen möchte.
Dafür müssen wir uns am aktuellen (!) Bedürfnis des Hundes orientieren und uns entsprechend anpassen.
Futter hat als Verstärker viele Vorteile, nützt mir aber wenig, wenn der Hund gerade viel lieber rennen würde. Flitzen dürfen ist an der Stelle also die viel bessere Wahl.
Auch Umweltverstärker wie spannende Reize anschauen, schnüffeln und Co. sind oft enorm hilfreich.
Außerdem wichtig: Kreativität und Varianz.
Futter kann man einfach geben, aber man kann es den Hund auch suchen, fangen oder hetzen lassen.
Spielen kann man mit oder ohne Spielzeug, eher körperbetont oder flitzend, stationär oder ständig in Bewegung…
Manche Hunde mögen tatsächlich auch im Training Körperkontakt und Schmusen (Achtung, die meisten nicht!).

Hat der Hund Durst, ist Wasser übrigens ein besserer Verstärker als jedes noch so gut aufgebaute Spiel. 😉
Die Frage, egal ob im Training, beim Managen oder im Alltag, muss immer lauten: Was würde mein Hund jetzt am Liebsten tun?
Je näher wir mit unserem Verstärker dran kommen, desto größer ist der Effekt. 🙂

Sarai an der Leine
Wir nutzen, was der Sicherheit dient
Zu gutem Training gehört, so viele Variablen und so viel von der Umwelt zu kontrollieren, wie möglich. Denn wir wollen, dass der Hund im Training erfolgreich ist.
Dabei steht Sicherheit an erster Stelle.
Leine, Schleppleine, Geschirr, Maulkorb und Co. gehören also an vorderster Front mit dazu, im häuslichen Umfeld natürlich entsprechend auch Zäune, Kindergitter, Hausleine, geschlossene Türen und Co.

Was nutzen wir auf keinen Fall (und warum)?

Schmerz, Einschüchterung, Angst
Weder Stacheln noch Würgeschlingen haben am Hund etwas zu suchen, dasselbe gilt für Sprühhalsbänder, Leinenrucke und Co.
Wir werfen nichts auf oder nach Hunden, wir drücken ihre Mäuler nicht zu, wir schreien sie nicht an, schlagen und treten sie nicht, werfen sie nicht auf den Rücken, ziehen nicht an ihren Ohren, drücken nicht auf ihre Lefzen, fixieren sie nicht in irgendwelchen Positionen, wickeln keine Leinen um empfindliche Körperstellen.
Wir drohen ihnen nicht und erschrecken sie nicht. Wir drücken Hunde nicht runter, zerren sie nicht ins Sitz, Platz oder sonstwelche Positionen.

Wir tun nichts, was zu Schmerz, zu Angst oder Unsicherheit führt.
Wir wollen starke, kreative und selbstbewusste Hunde, keine verunsicherten Nervenbündel, die jederzeit unter dem Druck der nächsten „Korrektur“ hochgehen könnten.

Wir zwingen Hunde nicht in Situationen, die sie nicht bewältigen können.

Warum tun wir all das nicht? Weils Bullshit ist.
Weil es unnötig ist, weil es unangenehm ist und weil es verdammt miese Nebenwirkungen hat.
Jedem, der dazu mehr wissen möchte, sei noch einmal mein Artikel „Keine Gewalt, sonst gibt’s auf die Fresse“ nahe gelegt.

Was ist mit der Rangordnung, Dominanzverhalten, etc.?

Die Frage ist nachvollziehbar, hört man doch noch immer an jeder Ecke, Hunde seien dominant, unterwürfig oder unverschämt, man müsse sich durchsetzen, die Rangordnung klären oder was noch alles.

Fakt ist: Das ist alles Bullshit.

Sarai vor Lara

Nicht frech, nicht dominant – einfach nur im Vordergrund. Foto von Suma Spiegelglas Photography

Hunde leben nicht in Rudeln, weder untereinander noch mit ihren Menschen.
Sie bilden soziale Gruppen mit uns, die nicht durch Hierarchien, Kampf und Konflikte geprägt sind, sondern durch Partnerschaft und Kooperation.
Das Konzept von starren Hierarchien ist Hunden fremd. Wer dazu mehr erfahren möchte, der ist hier richtig: Warum ich kein Rudelführer bin.

Selbstverständlich tragen wir für unseren Hund die volle Verantwortung, so auch für alles, was er tut.
Und so auch für alles, was er fühlt.

Sorgen wir dafür, dass er es genießen kann, unser Hund zu sein.


Quellen und Tipps zum Weiterlesen:
Initiative für gewaltfreies Hundetraining
Wie Tsd trainiert
Wie Tsd nicht trainiert
Belohnungen und Verstärker
Motivation, Bedürfnisse und Verstärker beim Hund